Müssen, können, dürfen…

Gestern war ich noch in München und ich nutzte die Zeit, die mir als Frühaufsteher geblieben war, um meinen Weg vom Hotel zum Bahnhof mit einem Spaziergang durch den englischen Garten zu kombinieren. Ohne Musik auf dem Ohr und auch ohne irgendwelche Spiele vor den Augen kommt der Kopf in Bewegung. So hing ich meinen Gedanken nach und irgendwann kam aus dem Nirgendwo ein Gedanke hoch, der anfing mich zu faszinieren.

Warum müssen wir in unserer Gesellschaft eigentlich immer?

Mit dem müssen meine ich nicht die biologische Notwendigkeit sich zu erleichtern, sondern ich meine der Druck, der uns dazu bringt jeden Morgen aufzustehen und uns den Dingen zu widmen, die unseren Lebensunterhalt garantieren.

Aus der Evolution gesehen, kann man da ganz einfach argumentieren. Der Mensch musste schon immer, denn ansonsten wäre er nach dem darwinschen Prinzip nämlich einfach verschwunden und würde heute nicht die ganze Welt mit seiner Spezies dominieren. Klingt logisch, ist es das aber auch? Und da kam mir ein interessanter Aspekt in Erinnerung, den ich bei einer Flugvorführung auf der Greifenwarte Burg Guttenberg als überraschende Information mitnehmen durfte:

Nicht der fleissige Vielflieger unter den Greifvogel überlebt, sondern der effektive Jäger, der wenn er satt ist sich auf einen Baum niederlässt und verdaut. Der Grund ist einfach und simpel: der faule Greifvogel verbraucht beim Faulsein kaum Energie und muss nicht so oft jagen, was viel Energie braucht und was mitunter auch lebensgefährlich sein kann. Das ist doch logisch, aber komplett gegen den Leistungsansatz unserer Gesellschaft, die uns dazu bringen will, so oft es nur geht zur Jagd zu gehen und möglichst wenig Faul unsere Erfolge zu verdauen. Und da mir die Überlebensstrategie des Greifvogels sehr plausibel erscheint, überlegte ich mir natürlich, ob es nicht auch Gesellschaftsformen geben könnten, die dieses Prinzip unterstützen könnten und ein alter Traum kam in mir hoch: 

Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der man beitragen möchte und zwar nach seinen Fähigkeiten und Neigungen?

Natürlich fingen hier alle Alarmglocken an zu bimmeln, die uns die bisherige Gesellschaftsform eingeimpft hat:

  • Wer würde sich daran beteiligen, denn es besteht ja kein Zwang?
  • Wie kann dann eine Gesellschaft steuern, dass nicht jeder nur noch den musischen Künsten nachgeht aber keiner mehr die „harte“ Arbeit macht, die unser überleben garantiert?
  • Wie steuern wir strategische Projekte?

Und der erste Reflex ist, dass das doch gar nicht funktionieren kann und dass so wie es ist doch alles gut funktioniert und wir doch einfach so weitermachen können mit dem Ansatz Command and Order – sprich es gibt einige wenige, die den Rest der Truppe in Bewegung setzt.Wirklich jetzt? Kamen mir wirklich diese Bedenken? Das kann doch nicht sein, denn ich bin doch derjenige der immer Bedenken gegen das hat, wie es gerade so läuft! Als dieses Paradoxon sich im englischen Garten durch mein Hirn fraß, wusste ich, dass ich auf einer spannenden Fährte bin. Denn evtl. ist der Gedanken in einer Gesellschaft leben zu wollen in der man nicht MUSS sondern KANN und WILL doch gar nicht so abwegig. Weg von der Leistungsgesellschaft hin zu einer Sinngesellschaft – wäre das nicht ein Experiment, das es lohnt zu gehen? Wäre das nicht auch ein Experiment, mit dem auf einen Schlag viele Existenzfragen der Menschheit aufgelöst werden würden und in der man sich auf das fokussieren könnte, was die Menschheit weiterbringt – sprich was im Sinne der Menschheit ist?

Wie geht es weiter?

Beseelt von diesen Gedanken bin ich dann doch irgendwann durch die Einkaufsstraßen von München in Richtung Bahnhof geschlendert. Habe mir auch noch eine kurze Auszeit in der Fussgängerzone genommen und habe mir die Menschen angeschaut, die an mir vorbeigingen. Was fiel mir auf? Viele waren gehetzt, viele waren angespannt, es gab welche, die bettelnd auf sich aufmerksam machen wollten. Es gab aber keinen einzigen, der tanzend, laut lachend, unbeschwert durch diese Straßen lief. Kein Einziger!

Damit war mir klar – so wie wir momentan mit uns umgehen, scheint uns nicht gutzutun. Und es ist an der Zeit sich über andere Modelle Gedanken zu machen – auch mit dem Wissen, dass es scheinbar Kräfte gibt, die ein Interesse daran haben, dass wir müssen anstatt zu wollen!

Also werde ich in den nächsten Wochen, Monate, Jahre mir weiter diese Gedanken machen, Mitstreiter suchen, die ähnliche Ansätze als denkbar erachten und mich mit denen Auseinandersetzen, die die Leistungsgesellschaft als das einzig richtige Modell erachten.

Und wann auch immer mir dazu ein Gedanke kommt, werde ich ihn hier festhalten, für wen auch immer es interessieren könnte.

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